Bei dem großen Platz, den die Berichterstattung zu Cannabis auf Antonio Peris Buchbinderwerkstatt einnimmt, könnte man beinahe vergessen, dass sich dieses Blog auf sämtliche Drogen bezieht. Unser Leser realflippy hat mir einen Gastbeitrag zugesandt, in dem er als Insider über die Probleme und Veränderungen im Bezug auf die Substitutionstherapie spricht. Das ist durchaus auch ein Feld, dass dringend reformbedürftig ist. Eine neue Drogenpolitik muss auch hier Wege suchen, die Situation der Ärzte und der Substituierten zu verbessern.

Methadon - take-home

Methadon – take-home

Die Substitution an sich ist natürlich, grade für Schwerstabhängige eine gute Idee. Wenn sie richtig eingesetzt wird sollte bei dem Opiatabhängigen ein Prozess stattfinden, der ihn langsam aber stetig aus der Drogenszene herauslöst, der den Abhängigen zur Ruhe kommen lässt, der ihm die Chance gibt seine körperlichen Beschwerden zu mildern und ihm vor allem wieder eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben zu sichern.

Das wäre natürlich der Idealfall – aber wie sieht es denn nun wirklich aus in unserem Land? Wie in vielen, den Alltag betreffenden Entscheidungen der Politik wird eher verschlimmbessert und weniger darüber nachgedacht, was wirklich an der „Front“ geschieht. Da werden ziemlich weltfremde Konzepte von Beratergremien und Ausschüssen vorgelegt, die die Stigmatisierung derer, die versuchen wieder ins Leben zurückzufinden eher noch erhöht und ihnen unter gewissen Bedingungen eher die Resozialisierung verbaut als sie zu fördern.

Natürlich ist Kontrolle ein wichtiger Aspekt –  gar keine Frage, aber so wie die Regelungen momentan sind bzw. ausgelegt werden, würden sie mich persönlich eher von einer offiziellen Substitution abhalten. Kann daran liegen, dass ich auch eine andere Zeit erlebt habe, in der es einfacher war und die Ärzte nicht mit einem Bein im Knast standen, wenn sie es denn wagen dem Patienten ein gewisses Vertrauen entgegen zu bringen..aber ein großer Teil der Statistiken und von Verbänden wie der Deutschen AIDS-Hilfe/J.E.S. durchgeführten Studien sprechen für sich.

Die Situation in Deutschland ist nicht unbedingt schlecht, dass mal vorneweg, aber es gibt viele Punkte die sehr verbesserungswürdig sind. Auf einige möchte ich hier eingehen.

Wie sollten also die Ziele der Substitution aussehen? ( frei aus der PREMOS-STUDIE)

1) Sicherung des Überlebens

2) Reduktion des Gebrauchs von Suchtmitteln

3) gesundheitliche Stabilisierung und Behandlung von körperlichen und psychischen Begleiterkrankungen

4) Resozialisierung im Sinne von Teilhabe am gesellschaftlichen Alltag, Arbeitstauglichkeit und Rückzug aus der Kriminalität.

5) Opiatabstinenz

Zu Punkt eins und drei ist nicht viel zu sagen, daher werde ich nur im Bezug auf die anderen Punkte  darauf eingehen.

Beim zweiten Punkt: Der Reduktion des Gebrauchs von Suchtmitteln, fangen die täglichen Probleme aber schon an. Einige der substituierenden Ärzte dulden gelegentlichen Alkoholkonsum, andere sehen sogar über gelegentliches rauchen von THC hinweg,  in anderen Praxen fliegt man konsequent aus dem Programm, wenn man drei mal oder weniger positiv auf THC getestet wird. Teilweise muss vor der täglichen Vergabe des Substitutes ein Atemalkoholtest absolviert werden – was aus medizinischer Sicht nicht falsch ist, im suchttherapeutischen Ansatz aber als äußerst fragwürdig angesehen werden muss, da grade die Heroinabhängigen der offenen Drogenszene oft multiple Abhängigkeiten entwickelt haben, die eher eine unterstützende Behandlung benötigten, als das ewige Damoklesschwert des Abbruches der Substitution über dem Haupt schweben zu sehen.

Als Begleitbehandlung zu Substitution wird eine psychosoziale Betreuung zur Pflicht gemacht. Das mag in vielen Fällen passend sein,  eine differenzierte Betrachtung eines jeden Patienten wäre hier jedoch sinnvoll. Ja es gibt sie, die Opiatabhängigen, die Arbeitsstellen haben, deren Leben in geordneten Bahnen verläuft, die gesellschaftlich nicht durchs Raster fallen. Warum sollte also jemand der ein normales Leben lebt und sich in eine medikamentöse Behandlung begibt unbedingt eine Aufarbeitung psychischer Probleme anstreben, die er gar nicht hat. Anders verhält es sich natürlich bei denen, die durch Prostitution, Knast, Überschuldung oder sonstige Probleme traumatisiert sind oder bei denen drogenindizierte Psychosen auftreten.

Nun ergibt sich das nächste Problem – wie behandeln.

Gesprächstherapien reichen in den meisten Fällen nicht aus, somit wäre eine Behandlung mit Antidepressiva oder Benzodiazepinen angebracht. Antidepressiva wirken meist erst auf längere Sicht…sind also größtenteils ungeeignet um akute Psychosen zu behandeln, Benzodiazepine dürfen im Regelfall während einer Substitution gar nicht konsumiert werden. Einmal davon abgesehen. dass bei einer nicht geringen Zahl der Opiatabhängigen auch eine Benzodiazepin-Abhängigkeit vorliegt,  wäre somit eine effektive Behandlung hinfällig. Da besteht Klärungsbedarf von Seiten des Gesetzgebers. Die nächsten Probleme ergeben sich bei der Resozialisierung. Ein Substitut darf nur in Ausnahmefällen für eine gewisse Zeit als sogenannte „Take Home- Vergabe“ ausgehändigt werden – und auch erst dann, wenn der Substituierte längere Zeit frei von Beigebrauch anderer Substanzen ist.

In Städten ist diese Regelung ein geringeres Problem, denn dort sind Praxen und Ambulanzen gut erreichbar. Auf dem Land ist die suchtmedizinische Grundversorgung auf gut deutsch unter aller Sau. Dort sind teilweise immense Strecken zurückzulegen, die ohne gutes Bus- und Bahnnetz oder ohne eigenen PKW nicht zu bewältigen sind. Solche Unternehmungen lassen sich mit einem geregelten Arbeitsplatz in keiner Weise vereinen. Hinzu kommt, dass das Autofahren auf Methadon/Polamidon und anderen, zur Substitution eingesetzten, Medikamenten vom Gesetz her verboten ist. Es liegt also im Ermessen des Arztes. Neuerdings ist er sogar verpflichtet, der Führerscheinstelle zu melden, dass ein Patient nicht mehr fahrtüchtig ist, weil er sich in eine Resozialisierungsmaßnahme begibt. Das widerspricht sich natürlich schon an sich.

Ein Substituierter hat meistens eine so hohe Opiattoleranz, dass es ihm sehr wohl möglich ist ein Fahrzeug zu führen, oder Maschinen zu bedienen. Zudem ist es in gewissen Berufen und in manchen Gegenden nicht grade vom Vorteil auf einen PKW zu verzichten. Das würde die Resozialisierung schon im Ansatz scheitern lassen, wenn der Patient seine Arbeit verlieren würde, nur weil er Hilfe sucht. wie gesagt, tägliche Strecken von 10 – 20km um zum Substiarzt zu kommen, sind in ländlichen Gegenden keine Seltenheit. Auch hier sollten die derzeitigen Regelungen überdacht werden.

Und noch kurz zur Opiatabstinenz:

In Deutschland streiten sich immer noch die Befürworter des so genannten Abstinenzparadigmas – bedeutet, dass in einem gewissen Zeitraum eine Reduktion des Substituts auf null erfolgen muss, und die Substituierten das Akzeptanzparadigma bzw. die so genannte Harm Reduction befürworten. Bedeutet, je nach dem wo und bei wem man substituiert wird kann man sich als Langzeitabhängiger darauf gefasst machen,  nach einem gewissen Zeitraum krampfhaft auf null dosiert zu werden.Für manche Menschen ist das auch das gewollte Ziel, für andere hingegen der Rückfall in die Drogenszene. Laut neueren wissenschaftlichen Erkenntnissen wäre auch hier eine individuelle Entscheidung von Patient zu Patient angebracht, um langfristige Erfolge in der Entkriminalisierung der Heroinsüchtigen zu erzielen. Sogar bei der WHO findet langsam aber sicher ein Umdenken statt.

Leider ist in den deutschen Gesetzestexten davon noch nichts angekommen. Hier wird vom Gesetzgeber auf lange Sicht immer noch die totale Opiatabstinenz gefordert. Wie lang der Patient dafür Zeit hat wird nirgends klar definiert. Es gibt einiges an Verbesserungsvorschlägen durch den Deutschen Ärztetag in Verbindung mit der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin:

http://www.dgsuchtmedizin.de/fileadmin/documents/initiative-btm-aenderung/BtM-Aenderung-lang4.pdf

Leider verlaufen solche, auf den Patienten ausgerichteten Vorschläge oft genug im Sande.

Danke an Antonio Peri, der mich dazu animierte diesen Gastbeitrag zu verfassen.