Seit 2009 geistert der Begriff Post-Privacy durchs Internet. Durch die Piratenpartei, vor allem durch Julia Schramm, ehemaliges Mitglied im Bundesvorstand der Piraten und Gründungsmitglied der „datenschutzkritischen Spackeria“ und die anschließende Affäre um ihr Buch, ist das Thema in den öffentlichen Mainstream vorgedrungen. Mein bekannter Blogger-Kollege mobo (Kein Wietpas!) ist ebenfalls ein Anhänger dieser Idee. Er exponiert sich mutig, sogar mit einem Video, und hat seine Kontaktdaten, für jeden einsehbar, veröffentlicht. Generell ist Post-Privacy eine Debatte, die man führen kann – und vor allem eine Sache der persönlichen Meinung. Journalistisches und politisches Engagement für eine andere Drogenpolitik ist zwar keine Straftat – meine jahrelangen Erfahrungen zum Thema theoretische Beschäftigung mit Drogen (nicht nur) im Internet bewegen mich jedoch zum völligen Gegenteil von Post-Privacy.

CC-Lizenz - Photo by Ruth Suehle

CC-Lizenz – Photo by Ruth Suehle

Ob Privatsphäre und Anonymität im Netz nun „so was von Achtziger“ ist oder nicht, ist eine Diskussion, die in Ihrer Gesamtheit woanders geführt wird. Natürlich kann man darüber diskutieren, ob die technischen Gegenheiten, z.B. in sozialen Netzwerken, ein Umdenken bezüglich der eigenen Privatsphäre nötig machen. Zur Einführung ins Thema Post-Privacy hier der Wikipedia-Eintrag dazu. Die Argumente dazu beziehen sich meist auf Dinge wie Gehalt, sexuelle Orientierung und weitere individuelle Angaben.

Eine Diskussion über strafrechtlich relevante Angaben, habe ich (aus verständlichen Gründen) nicht in den Post-Privacy-Debatten und Blogs (z.B. dem Blog der Spackeria) finden können. Nun ist die theoretische Beschäftigung mit Drogen und Drogenpolitik natürlich nicht strafbar. Nicht einmal Drogenkonsum ist das. Trotzdem ist natürlich für den Drogenkonsum der vorangegangene Erwerb und der Besitz nötig – diese sind sehr wohl strafbar. Von der Herstellung ganz zu schweigen. Bei Leuten, die sich öffentlich mit dieser Thematik exponieren, liegt für die Strafverfolgungsbehörden immer der Verdacht nahe, diese (und auch deren Kontakte) seien in die o.g. Straftaten involviert – was viele ja auch ganz offen, in der vermeintlichen Anonymität eines Nicknames, schreiben.

Gerade in der Community der Aktivisten für eine Cannabis-Legalisierung wächst der Anteil derer, die sich ganz öffentlich mit ihrem realen Namen und Gesicht für die Sache exponieren. Die Diskussion dazu trägt manchmal die Züge der Outing-Debatte unter den Homosexuellen in den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts. Allerdings war da bereits der § 175 StGB abgeschafft – und es saßen zudem niemals so viele Menschen wegen ihrer Homosexualität in deutschen Gefängnissen, wie aktuell wegen Verstößen gegen das BtMG – und sei es nur Besitz von Hanfprodukten. Die Prohibitionsuhr des DHV zeigt die tatsächliche Lage sehr eindrucksvoll.

Meine persönlichen Erfahrungen, die ich mit dem Vorgehen unserer Strafverfolgungsbehörden sammeln konnte, sprechen ebenfalls eine deutliche Sprache. Als ich Co-Admin im Land der Träume war, konnte ich 2008 – im Vorfeld der großen GBL-Razzia, folgendes Vorgehen des LKA-Bayern beobachten: Im LdT gab es einen Thread zu GammaButyroLacton (besser bekannt als K.O.-Tropfen). In diesem Thread hatten sich einige User sehr weit aus dem Fenster gelehnt und vom Besitz größerer Mengen GBL berichtet, bei den meisten anderen konnte man vom Besitz nur ausgehen, da sie über den Konsum schrieben. Übrigens wird GBL nicht primär zum Vergewaltigen von Frauen eingesetzt, wie man anhand der Medienberichte denken könnte. Die meisten Leute, die das regelmäßig nachfragen sind höchstgradig abhängig davon und nehmen es ausschließlich selbst. Schwerverbrecher sind diese Konsumenten aber keinesfalls und sie vergewaltigen sicher niemanden, denn sie sind meist in einem komaähnlichen Schlaf.

Ein Kommissar des LKA-Bayern schrieb jedenfalls den Betreiber des LdT an, und fragte höflich nach den (in den Userprofilen hinterlegten, aber nicht öffentlich und teils auch nicht für andere Forumsmitglieder sichtbaren) E-Mail-Adressen bestimmter User aus besagtem Thread. Aus heutiger Sicht mutet ein solcher Versuch natürlich naiv an. Aber er zeigt doch, dass in Foren und auf größeren Blogs und Seiten zum Thema Drogen diverse LKAs mitlesen – und zwar sehr genau. Wohlgemerkt hatten diese Leute alle keine Straftaten im Forum begangen, bei denen sie durch das LKA-Bayern beobachtet worden wären – dafür sorgten schon die Moderatoren, die sämtliche strafrechtlich relevanten Dinge strikt und sehr zeitnah unterbanden. Lediglich die Aussagen der User gaben Hinweise darauf, dass evtl. außerhalb des Forums Straftaten begangen wurden. Auf Kein Wietpas! ist das nicht anders – wenn es dort auch noch nie Anfragen der Polizei gab, berichten auch dort Menschen von Besuchen in den Niederlanden und der Einfuhr nach Deutschland, sowie vom Erwerb von Cannabis auf dem deutschen Schwarzmarkt. Durchaus strafrechtlich relevant – wenngleich die Polizei beim Thema Hanf auch ohne das Internet mehr als genug kleine Fische fängt, und daher vermutlich nicht so ein Aufwand getrieben wird, wie damals bei Thema GBL.

Die Erfahrungen, die Personen machen mussten, die Hausdurchsungen dann trafen, waren teilweise wirklich traumatisch, teils lebensgefährlich und immer sehr einschneidend. Nicht immer wurde höflich geklingelt. Es gab auch die brutale Methode der Türöffnung – wehe dem, der dann mit einer Fernbedienung in der Hand (die man, im Eifer des Gefechts, für eine Waffe halten kann) auf dem Sofa saß und sich schnell umdrehte, als die Polizisten in sein Wohnzimmer stürmten, oder gar (in der Annahme von Einbrechern) zur Gaspistole griff. Der Programmierer, der einen wichtigen Kundenauftrag nicht rechtzeitig erfüllen konnte, da sein PC fast ein Jahr lang in der Asservatenkammer vergammelte (2008 waren Clouds noch nicht so verbreitet wie heute und die Sicherungsmedien wurden ebenfalls beschlagnahmt).

Keine Freunde und Helfer von Cannabis-Konsumenten - CC-Lizenz - Photo by Marco Broscheit

Keine Freunde und Helfer von Cannabis-Konsumenten – CC-Lizenz – Photo by Marco Broscheit

Oder auch meine eigene Geschichte des Führerscheinverlusts – die zwar nichts mit dem Internet, jedoch auch mit der rein theoretischen Beschäftigung mit Drogen zu tun hatte. Viele Leser kennen bestimmt die Grow! – ein Hanfmagazin in gedruckter Form. Dieses kann man in meiner Stadt nur in der Buchhandlung am Bahnhof kaufen. Am Hauptbahnhof patroullierte zu der Zeit jedoch ständig der Bundesgrenzschutz (heute Bundespolizei) – eben jene Behörde, die ein ganz besonderes Auge auf Cannabis hat. Eine Zeitung zu kaufen ist natürlich nicht verboten. Allerdings hatte ich mein Auto (aus Arglosigkeit und weil ich ja nichts verbotenes tat) direkt gegenüber dem Bahnhof geparkt. Es war also ein leichtes für die Beamten des Bundesgrenzschutz, mich mit der eben gekauften Grow! zum Wagen (ein sauberer, schwarzer Golf, der gerade vor einem Tag durch den TÜV gekommen war – also mehr als unauffällig und total intakt) gehen zu sehen. Natürlich sahen sie auch das Nummernschild und in welche Richtung ich fuhr. Ein leichtes per Funk mein Kennzeichen durchzugeben. Es war Sommer und noch nicht einmal 21 Uhr Abends – also auch keine besondere Uhrzeit. Einen knappen Kilometer vom Bahnhof entfernt, tauchte plötzlich Blaulicht hinter mir auf. Ich dachte die Polizei wolle nur überholen, da sie auf dem Weg zu einem Einsatz waren. Ich war in meinen Leben natürlich schon öfter von der Polizei angehalten und kontrolliert worden (ich denke das ist normal wenn man 15 Jahre Auto gefahren ist) – aber nie mit Blaulicht. Übrigens sehe ich selbst auch nicht aus wie ein typischer Kiffer, fuhr 50 und keine Schlangenlinien oder ähnliches. Nach dem Überholen sah ich jedoch das rote „Bitte Folgen“ aufleuchten. Ich fuhr also in die nächste Parkbucht und als der Polizist dann ans Autofenster kam, war das erste, was er fragte: „Na – haben Sie Illustrierten gelesen?“ Die Zeitung lag nicht offen im Wagen!

Da wurde klar daraus geschlossen – Grow!-Leser = Kiffer. Also Kontrolle nur aufgrund der Zeitung und da ich damals nun mal regelmäßig gekifft habe, war der Lappen dann weg – mit allen üblen Folgen und Kosten.

So viel zu den normalen Usern. Bei politischen Aktivisten oder Wortführern zum Thema kommt jedoch noch ein anderer Aspekt hinzu: Sollte die Legalisierungsbewegung nun, wie es zu hoffen ist, stark wachsen und eine relevante politische Größe werden, könnten die politischen Gegner – und diese stellen die Regierung und haben starken Einfluss auf allen Ebenen, die Strafverfolgungsbehörden instrumentalisieren und missbrauchen, um die Aktivisten auf diese Art zu bekämpfen. Die Spiegel-Affäre 1962, die in Wahrheit eine Strauß-Affäre war zeigt, dass dieser Gedanke keinesfalls paranoid oder an den Haaren herbeigezogen ist. Dort ging es auch klar darum, eine kritische Presse mit den Mitteln des Strafrechts (inkl. Hausdurchsuchung) mundtot zu machen. Der Vorwurf des Landesverrats, war damals natürlich nicht haltbar und der Spiegel war ein mächtiger Gegner.

Ein kleiner Blogger oder Betreiber eines Forums, der noch dazu regelmäßig „echte“ Straftaten – wenn auch alle im Bereich des §31a BtMG begeht, ist da ein wesentlich schwächerer Gegner und ein leichtes Opfer. Die Hausdurchsuchung bei Piraten-Vize Markus Barenhoff zeigt nochmal die Aktualität meiner Befürchtungen. Die anschließenden Ermittlungen, sowie die Vorlage des Vorfalls im Bericht für den Bundesinnenminister (wohlgemerkt unter der Überschrift: Organisierte Kriminalität – wegen 2 Gramm Gras und ein paar Pflänzchen im gemeinsam genutzten Garten), sind ein Indiz dafür, dass eben so gegen politische Gegner vorgegangen wird, wenn sie in diesem Bereich angreifbar sind.

Es mag übertrieben sein, wenn einige TOR benutzen, nur um Foren und Blogs zu lesen, letztlich ist es aber die Freiheit von jedem einzelnen so zu agieren und die heftigen Diskussionen zwischen Sicherheitsfanatikern und Post-Privacy-Befürwortern, halte ich nicht für zwingend notwendig.

Privatssphäre und das Internet - CC-Lizenz - Photo by Eva Abreu

Privatssphäre und das Internet – CC-Lizenz – Photo by Eva Abreu

Anonymität im Netz gibt vielen Menschen erst die Möglichkeit oder den Mut, sich über gesellschaftlich negativ besetzte oder tabubehaftete Themen zu informieren und sich dazu zu äußern und mit Gleichgesinnten zu vernetzen. Viele Menschen leben zudem in größeren Zwängen, als die Leute, die ich persönlich im Bezug auf Engagement für eine Hanf-Legalisierung kenne. Die wenigsten sind selbständig oder arbeiten in Firmen, in denen es dem Chef egal ist, ob sie sich öffentlich pro Cannabis oder für eine generell andere Drogenpolitik einsetzen. Das wird immer mit Konsum assoziiert – egal ob das nun stimmt oder nicht. Zudem vergisst das Internet nichts, und bei Bewerbern wird heute standardmäßig gegoogelt. Da kann einem bereits das Foto einer Studentenparty, wo man besoffen und halbnackt auf dem Tisch tanzt, zum Verhängnis werden.

Allerdings möchte ich hier deutlich machen, dass es nicht darum geht ob mir nun egal ist, dass mein Nachbar weiß, dass ich auf SM-Sex stehe oder zu Hause Frauenkleider trage oder nicht. Hier geht es nicht um moralisch anstößiges Verhalten, sondern immer ganz klar um Straftaten die im Raum stehen. Im Polizei-Jargon heißt das: Ein Anfangsverdacht ist immer gegeben. Mit dem nötigen Willen (z.B. von übereifrigen Ermittlungsbehörden oder böswilligen politischen Gegnern) kann die mutige Offenbarung der eigenen Person, die zweifelsohne die Glaubwürdigkeit erhöht und auch viele andere Vorteile hat, zum Schuss werden, der nach hinten losgeht.

Solange das Damoklesschwert des Strafrechts noch so benutzt werden kann, informiere und kämpfe ich nur per Nickname und achte auch darauf, dass es keine Querverbindungen zu meinem realen Namen gibt. Das bietet natürlich keinen vollständigen Schutz, aber trotzdem frage ich mich im Bezug auf die Gegner und Strafverfolgungsbehörden: „Why should I make your job easy?“